Renaissance des Vertrauens

Veröffentlicht von Stefan Gebhardt am

Vertrauen muss von der Führung „gemanaged“ werden und hat gerade bei der Digitalisierung einen erheblichen Stellenwert. Zu diesem Schluß kommt Dr. Stefan Birk in unserem Gastartikel mit lesenswertem Inhalt.

Autor:
Dr. Stefan Birk
Geschäftsführer der Arbeitslabor GmbH

Dr. Stefan Birk ist Diplom-Kaufmann und hat über 25 Jahre praktische Erfahrung in Industrie- und Dienstleistungsunternehmen. Seine Erfahrungen sammelte er in Führungspositionen im kaufmännischen Bereich sowie in den Funktionen Personal und Logistik. Er beschäftigt sich seit über 10 Jahren intensiv mit den Problemen der „Arbeit der Zukunft“. Das von ihm gegründete Arbeitslabor unterstützt Unternehmen dabei, die daraus folgenden Anforderungen an Management, Organisation und Prozesse besser zu meistern.


Gute Kaufleute wissen seit jeher: Vertrauen ist die Voraussetzung für gute Geschäfte. Aber spielt das Thema Vertrauen in der heutigen, zunehmend digitalisierten Geschäftswelt mit vollautomatisierten Geschäftsprozessen, ausgefuchsten IT- Controllingtools und der Messung relevanter KPIs zu jeder Sekunde, tatsächlich noch so eine zentrale Rolle? Mit anderen Worten: Ist das Thema auch in Zeiten der Digitalisierung relevant und aktuell?

Im Folgenden soll am Beispiel von „virtuellen Teams“ – eines durch die Digitalisierung ermöglichten neuen Arbeitsmodells – gezeigt werden, welche Relevanz das Management von Vertrauen gerade hier hat.

Bei „virtuellen Teams“ handelt es sich um Gruppen von Mitarbeitern, die im Extremfall an unterschiedlichsten Orten und in verschiedenen Zeitzonen der Welt lokalisiert sind und trotzdem gemeinsam Projekte bearbeiten. Die Vorteile von virtuellen Teams liegen auf der Hand. Erst durch den Ansatz, die Mitarbeit in einem Team von der lokalen Präsenz zu entkoppeln, ist eine volle Ausschöpfung der verteilten Humanressourcen in Organisationen tatsächlich möglich. Durch das lokal unabhängige „Staffing“ von Teams erweitert sich der Möglichkeitsraum für Unternehmen ungemein. Im Idealfall hat man die Auswahl unter Spezialisten der gesamten Organisation. Und auch die Flexibilität steigt: Mitarbeiter können z.B. für ganz spezifische Aufgaben kurzfristig in einem Projekt eingesetzt und auch während der Laufzeit wieder freigesetzt werden. Durch die virtuelle Flexibilität entfallen die in der Vergangenheit oft prohibitiv hohen organisatorischen Kosten und Zeitverluste.

Was theoretisch sehr plausibel erscheint, ist in der praktischen Umsetzung jedoch oft sehr problematisch. Die Erfahrung, aber auch Studien zeigen, dass virtuelle Teams in der Mehrzahl der Fälle hinter ihren selbst gesteckten Zielen zurückbleiben und sich oftmals selbst als äußerst erfolglos einschätzen. Dies liegt daran, dass in virtuellen Teams oft nicht alle der folgenden Elemente eines „echten Teams“ vorliegen:

  1. ein adäquates Niveau sich ergänzender Fähigkeiten,
  2. eine hinreichend spezifische, vollständig verstandene und geteilte Zielsetzung,
  3. ein klarer und geteilter Arbeitsansatz und
  4. ein Gefühl wechselseitiger Verantwortlichkeit

Auf die ersten drei Punkte kann die Führung direkt Einfluss nehmen: passendes „Staffing“ (das richtige Personal mit den richtigen Fähigkeiten), die glasklare Definition bzw. Kommunikation der Zielsetzung, die Vorgabe eines angemessenen Arbeitsansatzes (inkl. der Nutzung von bestimmten Technologien). Weniger direkt beeinflussbar ist dagegen das vierte Element, was in der Praxis oftmals dazu führt, dass das Management hier gar keine Maßnahmen ergreift. Stattdessen hofft man darauf, dass sich die grundlegende Vertrauensbasis für eine wechselseitige Verantwortung im Verlauf der Zusammenarbeit von selbst einstellt. Wesentliche Voraussetzung für das (sozusagen automatische) Entstehen von Vertrauen ist aber, dass sich die Teammitglieder persönlich kennen, Zeit miteinander verbringen und sich (ggf. auch außerhalb der professionellen Zusammenarbeit) als Team verstehen. Genau hier befindet man sich also an dem Punkt, an dem sich lokale und virtuelle Teams objektiv unterscheiden.

Es ist unmittelbar einsichtig, dass die gezielte und nachhaltige Generierung von Vertrauen in einem virtuellen Team ungleich schwieriger zu bewerkstelligen ist als in einem lokal zusammenarbeitenden Team. Neben der räumlichen Entkopplung nimmt auch die zeitliche Entkoppelung zu, da immer mehr Mitarbeiter unterschiedliche Arbeitszeitmodelle nutzen. Dadurch kommt es in Projektteams zunehmend zu einer zeitlich „asynchronen“ Arbeit. Dies ist natürlich in Unternehmen, die global tätig sind, noch in erhöhtem Maße der Fall. Außerdem hat man es auch mit einem Phänomen zu tun, das hier als organisatorische Entkoppelung bezeichnet werden soll: Der flexible Einsatz von Mitarbeitern in projektbezogenen, kurzlebigen Teams und auch die in vielen innovativen Branchen bestehende Tendenz zu kürzeren Arbeitsverhältnissen und höherer Mitarbeiterfluktuation führen dazu, dass die Mitarbeiter wesentlich weniger Gelegenheit haben, zusammenzuarbeiten und einander kennenzulernen. Man kann daher davon sprechen, dass man es grundsätzlich mit einer von der Technik getriebenen Tendenz zur Entkoppelung von herkömmlich engeren menschlichen und organisatorischen Beziehungen zu tun hat.
Diese Entwicklung hat konsequenterweise einen fundamentalen Einfluss auf Entstehung und Pflege von Vertrauen in Unternehmen. Unsere These ist, dass durch die Entkopplung Vertrauen zu einem echten Managementproblem wird und damit zu einer Aufgabe, der man sich explizit und systematisch zu widmen hat. Denn man kann sich in virtuellen Teams nicht mehr auf die informalen Effekte „am Kaffeeautomaten“ oder bei der gemeinsamen Pizza verlassen, die in stabilen und langjährigen Arbeitsteams automatisch greifen.
Die Suche nach praktischen Beispielen, wie man die Bedingungen für ein von direkten menschlichen Kontakten unabhängiges, virtuelles Vertrauen – mit anderen Worten ein Vertrauen 2.0 – schaffen könnte, bleibt allerdings erfolglos. Eine breiter angelegte Untersuchung ergab, dass in der Praxis anerkannte Ansätze fehlen, um Vertrauen im virtuellen Unternehmen systematisch zu bewirtschaften bzw. zu managen. Allerdings hatten wir in Praxisprojekten die Gelegenheit einige Erkenntnisse zu gewinnen, die im Wesentlichen auf drei Maßnahmenpakete hinausliefen:

  1. Maßnahmen, um einen Fit zwischen Unternehmenskultur und vertrauensbildenden Maßnahmen herzustellen
    Vertrauensmanagement ist auf vielfältige Weise mit der Unternehmenskultur verwoben. Es ist daher von eminenter Wichtigkeit, dass schon weit vor der Umsetzung erster praktischer Maßnahmen das Thema „Vertrauen“ in der Organisation explizit problematisiert und diskutiert wird. Bei der Analyse der bestehenden „Vertrauenskultur“ kann man auf bewährte Methoden der „Dechiffrierung“ von Unternehmenskulturen zurückgreifen.
  2. Maßnahmen, um Systemvertrauen zu ermöglichen
    Systemvertrauen resultiert aus dem Vorhandensein objektiv nachvollziehbarer Sicherungs- und Kontrollmechanismen in Institutionen und Organisationen. So ist es für das Management möglich, mit Hilfe verbindlicher und transparenter Definitionen von Entscheidungs- und Arbeitsprozessen die Bedingungen zu schaffen, die Mitarbeitern schrittweise ein stärkeres Systemvertrauen ermöglichen. Allerdings ist Systemvertrauen immer mit einer gewissen Bürokratisierung verbunden, die bei überproportionalem Einsatz die Prozesse starr und wenig entwicklungsfähig macht.
  3. Maßnahmen, um personales Vertrauen ohne persönliche Kontakte zu ermöglichen
    Personales Vertrauen entsteht im Zusammenspiel zwischen Vertrauensgeber und Vertrauensnehmer. Vertrauen zu geben ist und bleibt dabei eine Entscheidung unter Risiko. Im Falle von virtuellen Teams besteht aber für den Vertrauensgeber aufgrund des Fehlens von Erfahrungen eine deutlich höhere Gefahr des Vertrauensmissbrauchs. Um also unmittelbares Vertrauen („instant trust“) zu ermöglichen, braucht es Systeme, die geeignet sind, das Risiko für den Vertrauensgeber erkennbar zu senken. Die wesentliche Aufgabe für das Management besteht deshalb darin, ein transparentes, hinsichtlich der Kriterien nachvollziehbares und in der Organisation anerkanntes „Reputationsmanagementsystem“ für potentielle Teammitarbeiter aufzubauen.

Die Maßnahmen können an dieser Stelle nicht ausführlich besprochen werden. Am Ende bleibt aber die auf den ersten Blick überraschende, aber durchaus plausible Erkenntnis: Die „Vertrauensfrage“ muss im Zeitalter der Digitalisierung sogar noch verstärkt gestellt werden. Das Thema Vertrauen muss in Organisationen einer bewusst geführten, rationalen und systematischen Debatte unterworfen werden. Dabei ist nicht nur personales Vertrauen im virtuellen Raum von Wichtigkeit, sondern man muss auch das Thema Systemvertrauen stärker betonen. Dies kann im Ergebnis zu formalen Maßnahmen führen, die für sich genommen die Regelungsdichte eher erhöhen statt vermindern. Ganz im Gegenteil zu manch unreflektierter Zukunftsutopie wird also die Virtualisierung und Digitalisierung der Teamarbeit nicht zwangsläufig dazu führen, dass sich proaktives und professionelles Management in einem wie auch immer gearteten Selbstregelungsmechanismus auflöst. Oder mit anderen Worten: Vertrauen muss von der Führung „gemanaged“ werden.


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